Münster, Kopenhagen, 30 Stunden, Teamspirit pur, 25.000 € – die Erinnerungsfetzen im Kopf scheinen auch noch Wochen nach dem wohl größten Erlebnis des Rennrad-Lebens defragmentiert zwischen den Ohren zu schweben. Zu absurd, zu surreal scheint all das, was sich unter dem Projektnamen „CCC Conquers Copenhagen“ subsumieren lässt. Wie ein Tagtraum wabert, was uns auf 625 Kilometern nordwärts begegnete, durch die Gehirnzellen.
Fangen wir vorne mit den Fakten an: 14 Fahrer, eine Fahrerin sowie Sven L. und Volker G. als Steuerkünstler der Begleitfahrzeuge stellten sich in diesem Jahr der Herausforderung einer Langstreckenfahrt von der westfälischen zur skandinavischen Radfahr-Metropole. Getroffen wurde sich auf einem Pendlerparkplatz in Münster.
Allen Beteiligten war die Mischung aus Vorfreude, Anspannung und einer gehörigen Portion Respekt anzumerken. Die Krisensitzung des Vortages hatte noch einmal unterstrichen, um welch außergewöhnliches Unterfangen es sich hierbei handelte. Massiver Regen war für die 24 Stunden vorhergesagt. Es fielen Worte wie „Überschuhe“, „Regenhose“ und „Helmüberzieher“. Spätestens als Martin S. die Fahrt mit einem „Regenponcho“ in Betracht zog, bekam ich erste Schweißausbrüche.
Auf besagtem Parkplatz angekommen, schienen sich die wilden Prognosen zunächst zu bestätigen. Ein massiver Schauer begleitete unsere Packbemühungen. Die Abfahrt wurde um zwei Stunden nach hinten verschoben und es machte langsam das Gerücht die Runde, dass wir mit etwas Glück zwischen den Regenfronte trocken bis Kopenhagen kommen könnten.
Um 18.25 Uhr war es dann soweit: Der CCC-Zug rollte langsam durch Münsters Peripherie. 14 Mal Arabica und einmal Affogato in Reihe – was ein Anblick!
Ganze 25 Kilometer hielt der Flow, bis der erste Platte selbigen unsanft unterbrach. Nach einigen Problemen beim Schlauchwechsel ging es schließlich doch weiter. Wir steuerten auf Osnabrück zu, die erste größere Stadt, die es zu passieren galt. Das raue Pflaster der Großstadt forderte Tribut. Nach 50 Kilometern machte bereits der zweite Reifen schlapp. In dieser Schlagzahl würde der Weg bis Kopenhagen noch weit(er).
Die erste in geplante Pause wurde kurzerhand um 20 Kilometer vorverlegt, so dass wir das Pannenflicken und die Versorgung kombinierten. Die nächste Etappe wurde dementsprechend länger und hielt über 100 Kilometer in die Nacht hinein bereit. Um kurz vor 1 Uhr schlugen wir unsere Station auf dem McD-Parkplatz in Nienburg auf. Während Volker G. uns mit frischem Kaffee empfing, hatte Sven L. bereits alle Fahrer-Boxen griffbereit um den Transporter aufgereiht.
Navi laden, eine ordentliche Portion Nudelsalat essen, Flaschen füllen, warme Kleidung anziehen, Kaffee trinken, Riegel ins Trikot stopfen und noch kurz einen Muffin mit Cola herunterspülen – so etwa sah das Programm der Starter und Starterin aus.
Nun kam die erste „richtige“ Nachtetappe: 61 Kilometer durch das Schwarz. Der Lichtkegel von 15 Radlampen hielt uns wach, ebenso wie vereinzelte Gespräche. Mit einer dreistündigen Verspätung erreichten wir dann Soltau – um 3:40 Uhr. Die Pausenroutine wurde abgespult, wobei schon jetzt der Nudelsalat nicht mehr schmeckte.
220 Kilometer standen auf dem Tacho – 405 sollten noch folgen. Es ist besser in solchen Situationen nicht „das Ganze“ im Blick zu haben und so ging der Fokus nur auf die folgenden 61 Kilometer bis Lüneburg. „Gleich kommt die Sonne“ – hörte man aus mehr als einem Mund.
Die Motivation entpuppte sich schnell als Illusion. Hell wurde es zwar, aber eigentlich wechselte der Schwarz-nur in einen Weißmodus. Die Lüneburger Heide präsentierte sich in einem weißen Schleier. Nebel wohin das Auge auch reichte. Während die einen vor Langeweile in den Tunnelblick versanken, fingen andere am Ende des Peletons Gesangseinlagen an – mit zweifelhaftem Erfolg. Um 6:30 Uhr erreichten wir endlich Lüneburg: Während die Sänger froh waren, den Nebel hinter sich zu lassen, freuten sich die Nebel-Überdrüssigen über eine Gesangspause. So schmeckte der Morgenkaffee besonders gut.
Langsam meldete der Körper, dass irgendwie der Schlaf vergessen wurde. Die Energie des Peletons und die Gewissheit, die Nacht gut überstanden zu haben, ließ aber körperliche Zweifel schnell verschwinden. Der Gleichklang aus linkem Pedaldruck und rechtem Pedaldruck trug uns bis Lübeck. Um 11 Uhr erreichten wir die Stadt des Holstentors. Für großes Sightseeing blieb bei diesem Vorhaben allerdings keine Zeit. Dafür leuchtete auf dem Navi bereits ein blauer Schimmer am Horizont auf – die Ostsee ruft!
Ein großer Moment kam um 12 Uhr mittags, als das Straßenschild den Timmendorfer Strand in neun Kilometern ankündigte – ein Ort, den viele für arg weit mit dem Auto erachten. Wir würden diesen Touristenhotspot mit dem Rad erreichen. Wahnsinn! Und dann kam sie: DIE OSTSEE. Blau schimmernd, mittlerweile glänzend durch die strahlende Sonne in Szene gesetzt. Spürbar lockerte sich die Atmosphäre der Gruppe. Ein erstes großes Ziel wurde erreicht.
Durch die Touristenpromenade schlängelnd, zog der CCC-Express Richtung Dahme am Meer, dem letzten Stopp vor der Fähre. Eine Stärkung beim örtlichen Bäcker, die als Frühstück geplant war, wurde kurzerhand zum Nachmittagssnack. Rund sechs Stunden hingen wir hinter dem Zeitplan. Die regenbedingte spätere Abfahrt, Platten und längere Pausen wurden für die Planungen jetzt zum echten Problem. Klar war an dieser Stelle schon jetzt, dass Kopenhagen hinter einer zweiten Nachtfahrt liegen würde. Erste Stimmen wiesen auf das Sicherheitsrisiko dieses Unterfangens hin – eine endgültige Entscheidung, wie es weitergehen sollte, wurde auf die Fährfahrt vertagt.
Die 45 Kilometer bis Puttgarden sollten schnell abgespult werden. Im Sonnenschein war die Freude und das Gefühls einer echten CCC-Communityfahrt wieder präsent. Dann aber kam der Super-Gau: Die Fehmarnsundbrücke – notwendige Passage zum Erreichen der Fähre – war für den Radverkehr gesperrt. Die letzten, übermüdeten Gehirnzellen der Gruppe wurden noch einmal gefordert. Glücklicherweise war der alle 90 Minuten kommende Shuttlebus wie für uns bestellt und bot auch noch gegen ein Trinkgeld genügend Radplätze auf dem Hänger und im Innern.
Und dann kam die Fähre: Eine Radlerin und 14 Radler zusammengekauert im Bordbistro und die unausweichliche Frage: „Wie geht es jetzt weiter?“ Kopenhagen schien zu weit – noch 155 Kilometer, um 19 Uhr, Regen und drohendes Gewitter. Die Optionen schwankten zwischen Ende, noch die 500 Kilometervollmachen und bis zum Schluss durchziehen. Sieben Mitstreiter entschieden sich für ein vorzeitiges Ende, acht wollten es „mal bis zur letzten Pause in 90 Kilometern probieren“. (Wer jetzt hier ernsthaft noch zweifelte, dass das Ziel nun eigentlich Kopenhagen hieß, kennt den CCC nicht). Während die einen sich zum Zug aufmachten, bereiteten sich die Fernfahrer auf die letzten beiden Etappen vor.
Die kommenden Stunden entpuppten sich zum echten Leckerbissen. Die Sonne tauchte Dänemarks Landschaft in ein warmes Band, das vom dahingleitenden CCC-Grüppchen durchschnitten wurde. Regen und Gewitter existierten maximal in der Wetter-App. Wieder einmal kamen wir bis auf leichten Nieselregen zwischen den Regenfronten her.
Einen letzten Mentalitätstest hatte Dänemark dann aber doch noch für uns bereit. 50 Kilometer schnurgerade Landstraße in kupiertem Terrain. Dunkelheit, leichter Regen und 27 Stunden Dauerfahrt machten uns hier deutlich: Auch jetzt wird uns nichts geschenkt. Während die einen die letzten Reserven mit Gesangseinlagen auszuschöpfen versuchten, litten die anderen in Stille.
Wer die Mitstreiter bei der letzten Pause in Ronnede gesehen hat, wird sich gewundert haben, dass das Altenheim noch so spät Ausgang gewährte. Während die einen in ein komatösen Powernap fielen, humpelten andere oder liefen gekrümmt ums Auto. Die 560 Kilometer hatten sichtlichen Tribut gefordert. CCC-Spendeninfluencer Sven L., der kräftig die Charity-Werbetrommel rührte, gab uns aber noch einmal den Spendenstand von mittlerweile über 17.000 € durch und beflügelte uns so ein letztes Mal.
Dann war es geschafft! Um 2 Uhr nachts nahmen uns Sven L. und Volker G. am Hotel in Empfang und versorgten uns mit dem mehr als verdienten Fiege-Feierabendpils.
Eine Once-in-a-lifetime-Tour ging zu Ende, mit unglaublichen Erlebnissen, Momenten des Leidens, des großen CCC-Teamspirits, des Zweifelns und mehr als einer Komfortgrenze, die überschritten wurde. Es wird noch eine Zeit dauern, aber irgendwann werden wir begreifen, was sich mit so einem großartigen Team alles erreichen lässt.
Danke an Andreas F., Axel H., Bartosz B., Charlotte W., Christian K., Erik L., Flo B., Lars H., Lars P., Lucas G.(Dank Kopenhagen mittlerweile Träger der Ehrennadel von Hamminkeln), Henry K., Manuel W., Martin S., Johannes M. und Philipp N. für das tolle Teamerlebnis sowie an alle Unterstützer für die Gesamtspendensumme von 25.000 €.
(Die Spendensumme war zur Zeit des Fotos noch nicht final)
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