Es gibt Momente im Leben eines Sportlers, die bleiben in Erinnerung. Zum ersten Mal das eigene Land vertreten und die Nationalhymne mitsingen, die erste Grünwasserwelle beim Surfen, Heliskiing in Kanada u.v.m. All diese Ereignisse haben für mich persönlich ihren eigenen Reiz. Entweder, weil der Weg dorthin besonders steinig war, weil es (Bewegungs-)Erfahrungen sind, die man vorher in der Form noch nicht kannte oder weil es sich um einen besonders emotionalen Moment handelte.
Den Ötztaler Radmarathon hier einzuordnen, fiel mir zunächst nicht leicht. Von einer guten Grundfitness kommend und mit etwas Vorerfahrung auf dem Rad war der (sportliche) Weg, ihn einfach zu absolvieren – und nur das war das Ziel -, nicht allzu steinig. Radfahren, als eine Tätigkeit, die man meist als Kleinkind erlernt, ist auch nichts, was den Körper in völlig neue Bewegungsdimensionen versetzt. Es wird demnach etwas Emotionales seien müssen, warum ich den Ötztaler Radmarathon dennoch zum erweiterten Kreis meiner sportlichen Highlights zähle.
Das lange Warten auf einen Startplatz (wir wollten mit dem Team starten, dass sich vor 3 Jahren – als der CCC noch sehr klein war - das erste Mal angemeldet hatte) sorgte immerhin für die Erkenntnis, dass diese Veranstaltung doch irgendetwas haben könnte, was sie so besonders macht. Diesen „Mythos Ötztaler“. Die reinen Eckdaten sind es bei mir persönlich nicht. 225 Kilometer und 5.500 Höhenmeter müssen ohne Frage erstmal absolviert werden, haben aber im Rahmen von Radmarathons lange kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Das Streckenprofil? Schon eher. Für mich gibt es fünfeinhalb Schlüsselstellen:
(1) Die Abfahrt nach Ötz, in der es gilt, nicht zu stürzen. In diesem Jahr hat es die Reihe hinter mir erwischt. Auf der linken Seite wird die perfekt asphaltierte Straße, die im Winter Skitouristen (zu denen auch ich zähle) in die Orte Sölden sowie Obergurgl/Hochgurgl bringt, zu einer Gaudi, erst recht, wenn man von zahlreichen Arabica-Jerseys umgeben ist, die einem nicht nur ein Gefühl von Sicherheit vermitteln, sondern auch bereits um 6:30 Uhr klarmachen: dieses Ding hier meistern wir heute als Team (zumindest gedanklich).
(2) Das Kühtai. Ein unrhythmischer Anstieg, den man – noch immer von der Euphorie getragen, dass man überhaupt am Start ist (und soeben seine PB über 40 Kilometer verbessert hat) – gerne mal zu schnell angeht. Hier kann man das Rennen lediglich verlieren. Eine rasante Abfahrt führt die FahrerInnen zum (3) Brennerpass.
Landschaftlich kein Augenschmaus, aber mit fast 40 Kilometern und einer Durchschnittssteigung von nur 2% dennoch elendig lang. Wer hier isoliert und ohne eine passende Gruppe fährt, begeht einen Fehler, der sich schon am (4) Jaufenpass rächen könnte.
Die gut 7% des wunderschönen Monte Giovo sind so gleichmäßig, dass der Radcomputer hier beinahe überflüssig wird. Wer hier nicht seinen eigenen Rhythmus findet, findet ihn vermutlich nie (oder hat an den vorherigen Anstiegen überzogen). (4,5) Die Abfahrt vom Jaufenpass. Natürlich kann man hier einfach runterrollen und hoffen, dass die Bremsbeläge sowie die Unterarme bis St. Leonhard halten. Persönlich habe ich jedoch immer ein wenig den eigenen Anspruch, sich auch bergab als Rennradler zu erkennen zu geben (Stichwort: Bewegungserfahrungen) und dafür muss man in den sich schlängelnden Kurven wirklich arbeiten – erst recht, wenn man bereits drei Alpenpässe in den Beinen hat. Die Summe aus einer sehr technischen Abfahrt, den bereits absolvierten Anstrengungen, den anderen StarterInnen, die es mit der geschickten Linienwahl entweder nicht (mehr) ganz so genau nehmen (können) oder die gewählte eigene Linie einfach noch viel schneller fahren sowie das Wissen, dass es - im Tal angekommen – gleich wieder bergauf geht, sorgen dafür, dass man auf den rasanten 20 Kilometern in jedem Fall wachsam seien muss. Und dann fährt man hinein in den Endgegner.
(5) Das mächtige Timmelsjoch, welches jährlich Antworten auf die Frage gibt, ob es mit „dem eigenen Traum“ klappt, den der Veranstalter marketingtechnisch herausragend zu spielen weiß. Auf den ca. 30 Kilometern und knapp 1900 Höhenmetern des Passo del Rombo sieht man – zumindest auf meinem Hobbyniveau - alles. Weinende SportlerInnen, Menschen, die ihr Rad auf Socken verzweifelt bis zur nächsten Labestation schieben, leere Blicke, aber auch TeilnehmerInnen, die noch immer mit einem Lächeln unterwegs sind, wohlwissend, dass sie sich das Rennen hervorragend eingeteilt haben. Glücklicherweise durfte ich mich bei meiner ersten Teilnahme zur letztgenannten Gruppe zählen. Zusammen mit Team Member Jan D. (nochmal großen Dank für die gemeinsamen 225 Kilometer vom Start bis zum Ziel) ist es gelungen, sich diszipliniert an die angezeigten Wattwerte zu halten und wie Peter, CCC Member der ersten Stunde, immer sagt „mit Köpfchen zu fahren“. So war die Eroberung des Timmelsjoch nahezu eine einzige Überholfahrt, die zumindest zeigte, dass in Sachen Pacing an diesem Tag einiges in die richtige Richtung lief. Nach Analyse der Schlüsselstellen fällt auf, dass der Ötztaler Radmarathon eine sehr abwechslungsreiche und anspruchsvolle Tagesetappe darstellt, für dessen Absolvierung es notwendig ist, ein kompletter (Rennrad)-Sportler zu sein. Na, das ist doch schonmal etwas, auf das man stolz seien darf. Doch wo bleiben die Emotionen?
Es ist nicht verwunderlich, dass bei mir persönlich hier der Café Cycle Club eine große Rolle spielt. Alle, die die Entstehungsgeschichte des Clubs kennen, dürften wissen, dass das, was mittlerweile eine Community aus 140 Menschen aus ganz NRW und darüber hinaus darstellt, in der es, neben Radreisen, Charity-Events, regionalen Ride Leadern und verschiedensten Trikot-Kollektionen vor allem unzählige Rides und Events über das ganze Jahr verteilt gibt, vor knapp vier Jahren angefangen hat mit einer Idee zweier Freunde, die mit Rennradfahren eigentlich gar nichts zu tun hatten. Doch weil man sportlich nicht ganz ungeschickt war, beschloss man das gemeinsame mittelfristige Ziel, einmal den Ötztaler Radmarathon zu fahren. Da hatte man von gehört. Den galt es zu absolvieren. Ähnlich wie einen Marathon zu Fuß. Wie damals. 2013 in Köln. „Mythos Ötzi“ eben.
„Wenn ich so etwas mir dir mache, dann lass uns in jedem Fall im gleichen Jersey fahren“, sagte CCC-Mitgründer Lucas im Januar 2021 sofort. Direkt war klar, dass es nicht irgendein gekauftes Jersey seien sollte. Etwas Eigenes wollten wir kreieren. Etwas mit Liebe fürs Detail. Etwas Besonderes. Ohne Werbung. Und wenige Tage später war es entworfen – unser erstes Arabica Trikot, zu dem Zeitpunkt noch ohne Namen. Und weil wir an eine Mindestbestellmenge von 10 Trikots gebunden waren, war logisch, was folgen musste: 8 weitere Menschen, die Lust auf „Arabica“ und eine Radcommunity haben, aus der nun das geworden ist, was wir alle so mögen. Der Café Cycle Club.
Am Freitagnachmittag, den 30.08.2024 und fast 4 Jahre später, saß ich also – zusammen mit Erik L., einem der obigen 140 Member, im Auto auf dem Weg zu jenem Event, welches den Anstoß gegeben hat für unseren heutigen CCC. Einer saß nicht im Auto. Mitgründer Lucas. Mit Bedauern musste er schon im ersten Jahr feststellen, dass er den täglichen Einsatz, den dieser Club seit seiner Gründung erfordert, neben seinem Alltag nicht aufbringen kann. Er fährt nur noch ganz sporadisch Rad. Schade eigentlich.
In Sölden angekommen begrüßten uns ein knappes Duzend weiterer Teammates, die ihre Teilnahme mindestens schon ein Jahr im Voraus über die clubeigene App bestätigt hatten, erwartungsvoll. „Ob ich den Stand unseres Radbekleidungspartners Cuore of Switzerland auf der Bike-Expo bereits gesehen hätte“, fragte mich einer, während er sein topgepflegtes Rad in einer ebenso gepflegten Unterkunft, Regina´s Alp Deluxe, auf das Wochenende vorbereitete. Dort sei die „Ausstellungspuppe“ mit unserem Mocha-Kit bekleidet (die sommerliche Alternative zur Arabica-Kollektion) als Sinnbild für gelungene Team-Trikot-Gestaltung. „Gar nicht so übel, wenn sich ein namenhafter Hersteller entscheidet, ein CCC-Clubjerseys auf einer der größten Radveranstaltungen Europas als Vorzeigeexemplar exponiert auszustellen“, dachte ich. Und damit war auch klar, dass die Kollektion unseres WarmUp Rides am nächsten Morgen – wie eigentlich immer auf Activation Rides - „Mocha“ seien sollte. Dumm nur, wenn man selbst das eigene Jersey zuhause vergisst (Bild Cuore Stand Team). Zum Glück war auf fast alle anderen verlass. Der Ride zum Kuchenstopp in Richtung Ötz bei bestem Wetter und toller Stimmung glich schon vor dem großen Tag einer Gala-Fahrt und nicht wenige, die uns auf dem Weg begegneten, dürften nun erste Zusammenhänge zwischen ihren Einblicken auf der Expo am Vortag und dem sich dahinter befindenden Team herstellen. Nicht wissen konnten sie, dass von diesem Team ca. 80% zuhause geblieben, aber in Gedanken sicher bei uns waren. Aber wo gibt es sowas auch schon?!
Nach dem Ride Ride überbrückte jeder die Zeit bis zum gemeinsamen Abendessen in einer lange im Voraus reservierten Pizzeria individuell. Es wird eine Mischung aus Erholung im Wellness-Bereich, einem Expo-Besuch und dem Abholen der Startunterlagen gewesen sein. Sicher ist, egal was man an diesem Wochenende in Sölden tut: Der gesamte Ort lebt und atmet dieses Event und alles dreht sich - egal wohin man auch schaut – um „deinen Traum“. Das ist einzigartig und definitiv anders als bei Dreiländergiro und Co. Warum nicht zu einer Sekunde an diesen drei Tagen Zweifel aufkamen, sich diesen Traum zu erfüllen, lag abermals an dem großartigen CCC-Team vor Ort. Wenn sich abends in der Pizzeria eine Tafel füllt, zu der TeamkollegInnen (unaufgefordert) im CCC-Shirt oder Pullover erscheinen, zweifelst du nicht mehr. Wer sollte hier morgen erfolgreich finishen, wenn nicht wir?
Früh gingen alle zu Bett. Die Räder standen bereit. Arabica lag fein säuberlich gefaltet parat. Wenn der Startschuss um 6:30Uhr ertönt und man um ca. 20 vor 6 in den Startblock rollt, ist klar, dass man sehr weit hinten steht. Aber das macht hier nichts. Und auch wenn wir es nicht beweisen können, kann stark davon ausgegangen werden, dass nur sehr wenige Teams in einer derartigen Mannschaftsstärke an diesem Morgen auf der Dorfstraße, die eigentlich auch die B186 ist, standen. Ein kurzer Blick auf den bekannten Heißluftballon, ein Abklatschen mit der CCC-Crew und ein entschlossenes „Pack ma´s“ und dann startet auch schon der Helikopter in den Ötztaler Morgenhimmel.
Von nun an galt es, die obigen fünfeinhalb Schlüsselstellen zu meistern. Jede/r der über 4000 Teilnehmer/innen hat hier wohl seine ganz eigene Geschichte zu erzählen. Meine ist, was das Rennen angeht, unspektakulär. Keine Pannen, kein Harakiri, keine Experimente bei der Ernährung, Vertrauen in die eigenen Wattwerte und ein Teamkollege für die kniffligeren Momente an diesem Tag bringen einen, basierend auf einer mittelmäßigen Vorbereitung eines zweifachen Familienvaters mit beruflichen Verpflichtungen und eigenem Radclub in ordentlichen „unter 11 Stunden“ wieder zurück nach Sölden.
Im Ziel fand dann aber erneut das statt, warum es sich lohnt, schon bald wieder den CCC-Jahreskalender 2025 präsentieren zu können. Während Martin S. und Erik K. bereits seit 2 Stunden erfolgreichen Finishern am Zielstrich gratulierten (Chapeau vor dieser Leistung) und auch Jonathan sowie Peter ihre super Form in diesem Jahr bestätigten, orderte Bartosz, der auch schon länger da war, bereits fleißig Kaltgetränke. Niemand zweifelte hier daran, nicht so lange zu warten, bis auch „das letzte“ CCC-Mitglied (und auch der letzte Finisher überhaupt) den Zielstrich überqueren würde. Gemeinsam applaudierten wir Michael H., Nicole P., Birk K., Jessi B., Andreas F., Erik L. sowie Andi N., der bereits zum fünften Mal finishte, zur (erneuten) Erfüllung ihres Traumes. Gratulation auch an Annalena H., Raimund K. und Manuel W. die als CCC-Member dieses Jahr für andere Teams gestartet sind. Wenn beim gemeinsamen Abschlussessen ein Dialog zwischen Andi N. und Birk K. wie folgt lautete: „Hör mal, Birk, wir sind jetzt das sechste Mal beim Ötzi, war es schonmal so grandios?“ „Auf keinen Fall!“, dann ist eigentlich alles gesagt.
Schlussendlich bleibt die Erkenntnis, dass Momente, die im Leben eines Sportlers in Erinnerung bleiben, nicht immer allein mit der eigenen Leistungsfähigkeit zu tun haben, sondern auch maßgeblich mit der Umgebung, in der sie stattfinden und den Emotionen, die man mit ihnen verbindet. Für den Ötztaler Radmarathon muss hier allen voran die herausragende CCC-Community genannt werden, deren Aufbau, so ehrlich darf man an dieser Stelle sein, schon auch durch einige steinige Passagen geprägt war. Aber das gehört zu besonderen Momenten vielleicht doch immer dazu.
Danke an alle, für ein geniales CCC-Ötzi-Wochenende!
Watts & Coffee
Euer Flo
Auch ich möchte mich bei dir, @Flo Bode , für die 225 gemeinsam gefahrenen Kilometer bedanken. Warum auch alleine fahren, wenn man ein so starkes und vielseitiges Team dabei hat.
Sehr schöner und treffender Bericht. Ein tolles Wochenende mit dem CCC.